Warum echte Gewinner anders kalkulieren – die kybernetische Kalkulation erklärt I E218

Warum echte Gewinner anders kalkulieren – die kybernetische Kalkulation erklärt I E218

Herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Digital Breakfast Podcasts Episode 218!

In dieser Episode dreht sich alles um das Thema der kybernetischen Kalkulation in der Mewes-Strategie. Gastgeber Patrick Seibold begrüßt wieder den Mewes-Strategie-Experten Prof. Dr. Nils Herda zum 7.Teil unserer Reihe.

Gemeinsam sprechen sie über die kybernetische Kalkulation und warum diese ein innovatives und wichtiges Instrument in der Strategie ist. Beim Wort Kalkulation denken viele zuerst an Zahlen, Kosten und Margen. Statt Preise lediglich auf Basis der Selbstkosten zu berechnen, stehen bei der kybernetischen Kalkulation der Kundennutzen und die Skalierbarkeit eines Produkts im Vordergrund.

Prof. Dr. Nils Herda geht in dieser Folge auf die Unterschiede zur klassischen betriebswirtschaftlichen Kalkulation ein, was die kybernetische Kalkulation besonders macht und veranschaulicht diese mit vielen anschaulichen Beispielen von Henry Ford, über Weinbrand bis hin zur Wäscherei.

Die kybernetische Kalkulation erfordert Mut, Vision und tiefes Kundenverständnis. Wer jedoch die Methodik verstanden hat und den Weg wagt, hat das Potenzial, langfristig großen Erfolg zu haben.

Freut euch auf inspirierende Einsichten, praktische Beispiele und wertvolle Tipps, wie auch euer Unternehmen durch das Prinzip der kybernetischen Kalkulation nachhaltig wachsen und den Markt erfolgreich erobern kann. Egal, ob ihr strategische Entscheider, Unternehmer oder einfach nur wissbegierig seid – diese Folge bietet geballtes Expertenwissen und praxisorientierte Impulse für nachhaltiges Wachstum.

Viel Spaß beim Zuhören!


TRANSKRIPT (KI-generiert)

Nils Herda [00:00:00]:
Man könnte sagen, diese kybernetische Kalkulation, der wir uns ja gerade nähern, ist im Prinzip eine Art Vorwegnahme von Kostendegressionseffekten, wenn ich es schaffe, mit einem günstigen Preis in den Markt zu kommen. So könnte man das ungefähr erklären.

Patrick Seibold [00:00:16]:
Denkst du bei Kalkulationen zuerst an Zahlen, Kosten und Marge – oder an Wirkung, Rückkopplung und Wachstum durch Nutzen? In dieser Folge des Digital Breakfast erläutern wir, warum Gewinner anders kalkulieren und besprechen gemeinsam die kybernetische Kalkulation nach Wolfgang Mewes. Eine innovative Methode, die dein Verständnis von Kostenrechnung, Kundennutzen und Unternehmenswachstum nachhaltig verändern wird. Ich bin Patrick Seibold, Moderator beim Digital Breakfast, und das ist Teil 7 unserer Reihe zur Mewes-Strategie. Bei mir heute wieder zu Gast: Prof. Dr. Nils Herda, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen und absoluter Mewes-Strategie-Experte mit viel Praxiserfahrung in der Anwendung dieser Strategie-Methode. Nils, schön, dass du wieder dabei bist.

Nils Herda [00:01:14]:
Hallo Patrick, freut mich auch sehr.

Patrick Seibold [00:01:16]:
Nils, jetzt ist die kybernetische Kalkulation ein Begriff, den, ich schätze, viele noch nicht gehört haben. Deswegen vielleicht mal so zum Start: Was ist denn Kybernetik überhaupt?

Nils Herda [00:01:28]:
Ja, da hast du recht. Ich glaube, die kybernetische Kalkulation ist wirklich so etwas wie der Olymp des Ganzen und zeigt, dass die EKS-Strategie – also die Strategielehre unserer deutschen Weltmarktführer – häufig ganz andere Wege geht und anders geprägt ist. Man muss sehen: Diese EKS-Strategie oder MEWES-Strategie ist eigentlich Anfang der 1970er Jahre entstanden. Interessanterweise – das hatten wir, Patrick, in den vorherigen Sessions ja schon mehrfach diskutiert – passt sie im digitalen Zeitalter fast noch besser als damals. Und in der damaligen Zeit gab es ein Thema, das enorm – ich sag mal – sowohl die Wissenschaft als auch die Wirtschaft beeinflusst hat: das war die Kybernetik. Es war die Zeit des Club of Rome, und man hat gemerkt, dass man viel von der Natur lernen kann. Kybernetik, zur Frage: Sie ist die Wissenschaft der Steuerung und Regelung von Systemen – und das gilt, Patrick, sowohl in der Biologie als auch in der Technik.

Nils Herda [00:02:37]:
Das heißt, wenn man sich das jetzt überlegt – wie kann ich Maschinen steuern –, kann ich eigentlich viel davon lernen, wie das bei lebenden Organismen der Fall ist. Und das kann man auch auf Unternehmen übertragen, weil Unternehmen aus kybernetischer Sicht soziale Organisationen sind. Wir haben also Menschen und Maschinen, die kooperativ zusammenarbeiten. Mit „Maschine“ können wir alles betrachten – von einem Fertigungsautomaten in der Produktion bis hin zu einem Taschenrechner, iPad oder SAP-System. Im Grunde geht es darum, wie Menschen und Maschinen gemeinsam kooperativ wirken. Und die Kybernetik basiert sehr stark auf dem Prinzip der Rückkopplung.

Nils Herda [00:03:17]:
Wir Lebewesen haben ja Sinnesorgane und können entsprechend reagieren. Wie will ich zurzeit über die Sinnesorgane entsprechende Wahrnehmung aufnehmen? Das kann man vielleicht schön am Beispiel eines Thermostats erklären: Bei einem Thermostat – wie wir es von der Heizung kennen – gibt es einen Istwert, der durch ein Thermometer automatisiert abgelesen wird. Dann gibt es einen Sollwert, und es wird ein Vergleich ermittelt. Der Regler im Thermostat erkennt so, ob Wärme zugeführt werden muss. Entsprechend wird reguliert. Das heißt, wir haben als integralen Bestandteil eine Rückkopplung. Es ist ein Prinzip, bei dem das Ergebnis eines Prozesses wieder auf den ursprünglichen Prozess einwirkt – und wir so diesen Prozess steuern und kontrollieren können.

Nils Herda [00:04:09]:
Das ist im Prinzip Kybernetik – geht übrigens auf Norbert Wiener zurück, der als Begründer der Kybernetik gilt.

Patrick Seibold [00:04:16]:
Und jetzt gibt es die kybernetische Kalkulation nach Mewes. Wie geht denn normalerweise die klassische betriebswirtschaftliche Kalkulation vor? Vielleicht als Gegenmodell, damit wir das auch noch mal etwas beleuchten können.

Nils Herda [00:04:30]:
Genau. Wir haben uns jetzt der Kybernetik genähert, und jetzt nähern wir uns der klassischen betriebswirtschaftlichen Kalkulation. Im Grunde geht es darum, Preise von Produkten oder Dienstleistungen zu ermitteln. Genauer gesagt geht es darum, die Selbstkosten festzulegen. Im Studium lernen wir dann: Kostenträgerstückrechnung, Kostenträgerstückkosten und so weiter – also wie man das kalkuliert. Der Unternehmer will natürlich verstehen, wo seine Preisuntergrenze liegt – oder zumindest die langfristige Preisuntergrenze, die den Selbstkosten entspricht. Darüber verdient er dann Geld. Deshalb will man immer wissen: Wo muss ich den Preis mindestens ansetzen? Dann arbeite ich mit ±0 Gewinn oder Marge und versuche dann, den Preis gewinnbringend nach oben zu entwickeln. Das ist die Logik dahinter.

Nils Herda [00:05:30]:
Also: Selbstkosten festlegen und wissen, ab wann man Geld verdient.

Patrick Seibold [00:05:35]:
Jetzt bin ich großer Fan von Beispielen – und ich weiß, Nils, du bist auch ein riesiger Fan von Beispielen, einfach um Sachverhalte besser erklären zu können. Gibt es vielleicht ein Beispiel, das du uns zum Einstieg erläutern kannst, damit wir ein besseres Gefühl für das Thema bekommen?

Nils Herda [00:05:52]:
Genau. Ehrlich gesagt ist es, Patrick, ein Gegenbeispiel – also zu dem, was wir eben gehört haben. Und zwar: Henry Ford. Ich glaube, die Welt der Wirtschaft ist ja voll mit Aussprüchen von Henry Ford, mit Metaphern rund um ihn und sein Ford Model T, das es in allen Farben – nur in Schwarz – gab. Es ist aber total interessant zu verstehen, wie er eigentlich dieses T-Modell in den Markt gebracht hat. Dieses Model T war ja das erste Automobil – und für die Bevölkerung damals im Prinzip gar nicht finanzierbar, nicht leistbar. Aber Ford hatte von Anfang an ein Ziel: Er wollte das Auto nicht nur als Luxusprodukt für VIPs verkaufen, sondern möglichst breit in der Bevölkerung.

Nils Herda [00:06:43]:
Dazu musste er natürlich möglichst günstige Preise anbieten. Also hat er nicht den klassischen Weg beschritten, den ich eben beschrieben habe – mit Preisuntergrenze, potenziellem Absatz, Kostenschätzung und so weiter. Das hätte gar nicht funktioniert, weil das Produkt für die breite Masse unerschwinglich war. Also musste er einen anderen Weg gehen. Wenn ich das Auto breit verkaufen will, muss der Preis niedriger sein, als es die klassische Kalkulation erlauben würde. Und dann hat er sich gefragt: Wie niedrig muss der Preis für mein Model T sein, damit jeder, der ein Auto braucht, es sich auch leisten kann? Er hat also vom Bedarf aus den Preis bestimmt – und nicht von den Kosten aus. Denn wie ich zuvor erklärt habe: Bei der klassischen Kalkulation ermittele ich zuerst die Selbstkosten.

Nils Herda [00:07:37]:
Wenn ich aber andersherum gehe und mich frage: Wie müsste der Preis aussehen, damit sich möglichst viele das Produkt leisten können – und wie kann ich es zu diesem Preis herstellen? – dann ist das eine ganz andere Vorgehensweise. Aus dieser Logik heraus fragte er sich: Wie muss die Produktion aussehen, damit sich das Auto zu diesem Preis herstellen lässt? So wurde die Idee des Fließbands geboren. Die hatte er sich in den Schlachthöfen von Chicago abgeschaut, wo Schweinehälften automatisiert weitertransportiert wurden. Und das ist die eigentliche Logik: Es geht nicht darum, klassisch zu kalkulieren, sondern darum, möglichst groß in die Breite zu gehen, das Auto niedrig zu bepreisen – damit es sich viele leisten können. Es war also im Grunde ein sehr sozialer Ansatz.

Nils Herda [00:08:28]:
Und das macht ihn zum Gegenbeispiel zur klassischen betriebswirtschaftlichen Kalkulation.

Nils Herda [00:08:35]:
Genau. Und damit sind wir auch schon bei Mewes, denn der denkt eigentlich genauso. Er hat dieses Prinzip analysiert und verstanden und erkannt, dass man anders vorgehen muss als in der klassischen Betriebswirtschaftslehre. Da er sowieso immer ein bisschen auf Kriegsfuß mit der klassischen BWL stand, ist das eines dieser vielen typischen Beispiele, wo er alternative Wege vorschlägt, auf die man klassisch ausgebildet gar nicht so leicht kommt, Patrick.

Patrick Seibold [00:09:05]:
Und er ist ja – korrigiere mich, wenn ich falsch liege – jemand, der aus der Praxis kommt. Ich glaube, er ist im Rechnungswesen groß geworden, in der Wirtschaftsprüfung.

Nils Herda [00:09:13]:
Genau, im Rechnungswesen. Er war dann Wirtschaftsprüfer und durchaus auch im Steuerrecht eine bekannte Nummer. Er war sogar in ministeriellen Beiräten vertreten. Aber tatsächlich ging er seinen ganz eigenen Weg. Er hat mal ein Büchlein geschrieben mit dem Titel: „Alle Bilanzen sind falsch“. Da erkennt man schon, dass er den Mut hatte, bereits in sehr frühen Jahren – als die Wirtschaft gerade wuchs –, zu sagen: Es kommt auf andere Erfolgsfaktoren an. Und diese Familienunternehmen, später auch die deutschen Weltmarktführer, waren sehr kompatibel zu seinen Gedanken. Wenn wir Henry Ford betrachten, finden wir auch andere Beispiele. Ich habe mal eine Fallstudie gelesen, da ging es um das Faxgerät.

Nils Herda [00:10:00]:
Das wurde in den 1960er Jahren von Xerox in den USA entwickelt. Die Vorläufer reichen sogar noch weiter zurück. Die deutsche Bundespost – damals Ministerium und zugleich Post und Telekom – hat 1979 einen Faxdienst eingeführt. Man hätte also die wunderbare Möglichkeit gehabt, den deutschen Markt, zumindest den Unternehmensmarkt, mit Faxgeräten zu versorgen. Doch es kam anders: Ein deutscher Hersteller überlegte sich tatsächlich, solche Geräte zu bauen – allerdings nach klassischer Kalkulation. Also: Wie hoch ist der Absatz? Welche Kosten entstehen? Daraus ergab sich ein Gerätepreis von rund 65.000 D-Mark – was natürlich vollkommen illusorisch war. Daher kam das Produkt nie auf den Markt.

Nils Herda [00:10:54]:
Toshiba, die Japaner – die uns nicht nur in der Kameraindustrie, sondern auch in der Musikbranche später überholt haben – waren da cleverer. Sie stellten sich die Frage: Was nützt ein Faxgerät, wenn ich damit niemanden erreiche? Und beschritten damit denselben Weg wie Henry Ford: Sie führten Geräte ab ca. 7.000 D-Mark in den Markt ein. Das war für Unternehmen vor der Internet-Zeit hochattraktiv. Die klassische Kalkulationslogik wurde hier ignoriert. Auch in diesem Fall kam man vom potenziellen Bedarf und schloss daraus auf den notwendigen Preis – und passte dann die Produktion entsprechend an. Man könnte sagen: Die Kostendegression wurde vorweggenommen. Denn wenn ich gleich in großen Stückzahlen produziere, habe ich eine ganz andere Kostenstruktur – in der Fertigung, in der Vermarktung etc. – als wenn ich nur ein paar Geräte baue.

Nils Herda [00:12:10]:
Ich glaube, viele Produkte kommen in Deutschland gar nicht oder nur sehr verzögert auf den Markt, weil wir klassisch denken. Es ist kein Denkfehler – diese betriebswirtschaftliche Kalkulation hat ihre Berechtigung –, aber sie ist in manchen Fällen schlicht nicht zielführend. Stattdessen sollte man sich eher an Japanern oder Henry Ford orientieren – dann wäre man erfolgreicher.

Patrick Seibold [00:12:33]:
Nur zum Verständnis: Klassischerweise kalkuliere ich von den Selbstkosten aus, berechne also, was mein Produkt kostet, und bestimme daraus den Preis, zu dem ich erfolgreich sein kann. Bei der kybernetischen Kalkulation gehe ich vom Bedarf aus, berechne, was das Produkt kosten darf – damit ich am Markt erfolgreich bin.

Nils Herda [00:12:54]:
Ganz genau. Und dieser Bedarf muss natürlich abgeschätzt werden. Das ist natürlich mit Annahmen verbunden – aber ich nähere mich einer realistischen Annahme, Patrick, indem ich einfach die Zielgruppe befrage, Markttests mache – nicht theoretisch mit Fragebögen, sondern indem ich den Menschen in die Augen schaue, mit ihnen spreche und ein Szenario durchspiele. Wenn ich die kybernetische Kalkulation analysiere, dann sehe ich: Es geht nicht primär um Preissenkung – das wäre der falsche Ansatz. Es geht vielmehr um Innovation. Es geht darum, in einem für die Kaufentscheidung der Zielgruppe ausschlaggebenden Merkmal besser zu sein – und damit Spitzenprodukte für Normalverdiener erschwinglich zu machen. So müsste man das im Prinzip beschreiben.

Nils Herda [00:14:09]:
Die kybernetische Kalkulation ergibt also besonders dann Sinn, wenn der Preis der zentrale Engpass ist. Ist der Preis kein Engpass – etwa im Luxussegment –, dann eignet sich dieser Ansatz nicht. Typischerweise haben wir hier eine hohe Nachfrageelastizität. Das bedeutet: Wenn ich den Preis erhöhe, sinkt die Nachfrage überproportional – umgekehrt steigt sie bei Preissenkung überproportional. Es gibt also Produkte, die sehr attraktiv sind, die sich aber viele nicht leisten können. Wenn ich es dann schaffe, den Preis so weit zu senken, dass Otto Normalverbraucher zuschlagen kann, dann kann das durch die Decke gehen. Genau das ist mit hoher Nachfrageelastizität gemeint.

Nils Herda [00:15:08]:
Das setzt allerdings voraus, dass ich mit zunehmender Produktionsmenge günstiger produzieren kann – das nennt man Kostendegressionseffekte. Und es setzt ein skalierbares Geschäftsmodell voraus. Wenn ich z. B. seltene Erden abbaue, ist das nicht skalierbar – sie sind begrenzt verfügbar. Der Preis wirkt stark auf die Nachfrage – das ist die Elastizität. Und durch die kybernetische Kalkulation nehme ich die Kostendegression gewissermaßen vorweg, indem ich von Anfang an zum später kalkulierten Massenpreis anbiete. Das Ergebnis: Der Absatz schießt hoch, und ich kann sehr schnell günstiger produzieren. Ich rolle den Markt also von Anfang an auf – nicht mühsam Schritt für Schritt. Und davon gibt es viele Beispiele.

Patrick Seibold [00:16:06]:
Hast du da vielleicht gerade mal ein Beispiel, damit wir uns das ein bisschen besser vorstellen können?

Nils Herda [00:16:10]:
Ja, also ich habe in der Mewes-Literatur natürlich noch ein bisschen nachgeschaut. Ich muss ehrlich sagen, ich bin immer ganz begeistert, Patrick, von diesen alten Beispielen, weil sie so ungewöhnlich sind – und weil es sich um Unternehmen handelt, die wir alle kennen. Eines davon ist der Weinbrand Chantré, damals beworben mit der „weichen Welle“. Wir gehören heute zwar nicht mehr zur typischen Weinbrand-Zielgruppe, aber das war früher ein großes Thema. Das war Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre, so muss das gewesen sein. Mewes hat in seinen Lehrgängen auch darüber publiziert.

Nils Herda [00:16:54]:
Damals konnte man klassischen Weinbrand kaufen – den hatte man in der guten Stube stehen. Auch meine Großeltern hatten welchen. Der Weinbrand kostete etwa 13 bis 15 D-Mark, was für Alkohol damals recht viel war. Bei Eckes, die wir heute von Eckes Edelkirsch kennen – eine Brennerei aus der Nähe von Mainz –, stellte man sich die Frage: Wie können wir auch in diesen Markt einsteigen? Es kamen natürlich tausend Fragen auf: Wie groß ist der Markt? Wie viele Menschen trinken überhaupt Weinbrand? Wie viele Flaschen werden verkauft? Entscheidend waren am Ende zwei Dinge: Erstens, der Preis war einfach zu hoch. Und zweitens, der Geschmack war vielen Leuten zu kratzig.

Nils Herda [00:17:50]:
Dann hat man sich überlegt: Wie kommen wir in die Breite? Die Lösung war, den kratzigen Geschmack zu mildern und den Preis unter 10 Mark zu drücken. Man entschied sich für 9,80 Mark – gefühlt unter 10, aber eben unter der psychologischen Schwelle. Dann vermarktete man Chantré als angenehmen, wohlschmeckenden Weinbrand, der eben nicht kratzig war. Das Ergebnis war ein Knaller: Anfangs machte man rund 1,7 Millionen Mark Umsatz – und innerhalb von sechs Jahren wuchs das auf 130 Millionen Mark. Man verkaufte also das 76-Fache. Zwar legte man anfangs etwas drauf, aber das wurde sofort durch den hohen Absatz ausgeglichen. Was bedeutet das, Patrick? Die Brennkosten pro Flasche sanken, ebenso die Vertriebskosten, ebenso die Werbekosten – alles gerechnet auf die Stückzahl. Die Verluste in der Anfangsphase waren eigentlich nur scheinbare Verluste, weil man sich damit im Grunde den Markt von morgen heute einkaufte.

Nils Herda [00:18:37]:
Das ist ein Beispiel, bei dem man sagen muss: Chapeau! Gehört natürlich dazu, dass man es gut vermarktet – aber wenn du ein Produkt hast, das ein Drittel günstiger ist als vergleichbare und dabei auch noch besser schmeckt, dann greifen die Leute zu. Und wenn du das über Fernsehen, Radio und Zeitungen richtig bewirbst, dann wird es ein echter Knaller. Ein zweites Beispiel ist die Textilreinigung Lange hier bei uns in der Region Stuttgart. Das ist eine ganze Kette.

Nils Herda [00:19:46]:
Der Inhaber entdeckte Ende der 1980er Jahre eine Maschine, mit der man Hemden extrem schnell bügeln konnte. Normalerweise wäscht und bügelt man Hemden zu Hause – aber mit dieser Maschine war das in zwei Minuten erledigt. Der Unternehmer überlegte sich, ob er das in seiner Reinigung anbieten sollte. Die Zeit war schwierig: Als ich Kind war, gab es sehr viele Reinigungen – Kleidung war teurer, wurde länger getragen und musste professionell gereinigt werden. Heute ist Kleidung durch Fast Fashion billiger, Umweltauflagen erschweren den Betrieb, viele Reinigungen sind verschwunden. Doch anstatt zu klagen, fragte er sich: Kann ich das Hemdenthema neu denken?

Nils Herda [00:20:28]:
Er sprach gezielt Kundinnen an: „Würden Sie auch die Blusen oder Hemden Ihres Mannes in die Reinigung bringen? Und was wären Sie bereit, pro Hemd zu zahlen?“ Die Antwort lag oft bei 2,50 Mark. Er rechnete dann durch: Mit 30 Hemden pro Tag wäre er bei Plus-minus-null. Statt den Preis auf 2,50 zu setzen, wählte er 1,99 Mark – werbewirksam. Das Ergebnis: Manche Filialen kamen an Spitzentagen auf bis zu 500 Hemden! Auch hier: Statt sich an den Maschinenpreis zu klammern, nahm er den Zustand hoher Auslastung vorweg, realisierte Kostendegression und konnte mit dem attraktiven Preis den Markt aufrollen.

Nils Herda [00:21:32]:
Das sind zwei typische Beispiele, wie man es anders machen kann. In der EKS-Literatur von Mewes findet man noch viele mehr. Die Unterlagen sind schwer zu lesen, aber bewundernswert – voller harter Fakten und intelligenter Konzepte. Wer vor ähnlichen Herausforderungen steht, kann sich daran orientieren.

Patrick Seibold [00:22:43]:
Ja, muss ich auch sagen. Vielen Dank erstmal für diese zwei tollen Beispiele – das kann man sich wirklich gut vorstellen. Wie würdest du das Thema der kybernetischen Kalkulation zusammenfassen – vor allem für unsere Hörerinnen und Hörer? Worauf sollten sie achten, was ist wichtig, wie lässt sich das Ganze gut auf den Punkt bringen?

Nils Herda [00:23:05]:
Zunächst einmal: Die kybernetische Kalkulation kommt aus einer Zeit, in der die Kybernetik en vogue war. Sie hat einen wissenschaftlichen und substanziellen Hintergrund – und sie funktioniert anders als die klassische Kalkulation. Sie nimmt die Effekte der Kostendegression vorweg, indem sie auf die Zielgruppe schaut, Absätze abschätzt, Gruppentests macht und sich dann fragt: Wie kann ich Spitzenprodukte für Normalverdiener anbieten? Voraussetzung ist immer, dass der Preis ein Engpass ist – das heißt: eine hohe Nachfrageelastizität. Wenn ich den Preis senke, steigt die Nachfrage überproportional. Und das funktioniert nur, wenn ich mit einer Innovation komme: Chantré war weich, das Auto war neu, und die Textilreinigung machte etwas Alltägliches (Hemden waschen und bügeln) plötzlich extern verfügbar.

Nils Herda [00:24:20]:
Das Ziel ist, den Nutzen für die Zielgruppe schneller zu verbessern als der Wettbewerb – mit einer guten Idee in den Markt zu gehen. Je besser ich mit der Zielgruppe im Austausch bin, desto eher kann ich realistisch kalkulieren und mit diesem Ansatz Erfolg haben. Man braucht natürlich Mut – aber wenn man das sauber vorbereitet, wird man auch belohnt. Denn es ist letztlich völlig logisch, die Nachfrage und den Preis zuerst in den Blick zu nehmen – anstatt sich auf Investitionen zu fokussieren und dann über Selbstkosten zu kalkulieren, bis der Markt es hoffentlich akzeptiert.

Patrick Seibold [00:25:11]:
Ja, das waren super Abschlussworte – und eine sehr gute Zusammenfassung. Und wir sehen dich ja am 20.06. noch einmal live beim Digital Breakfast. Da wirst du das Thema der kybernetischen Kalkulation in einem Impulsvortrag vorstellen. Und für alle, die das vor dem 20.06. hören: Nutzt die Chance, Nils live zu erleben! Er ist ein absoluter Mewes-Strategie-Experte – und nutzt vor allem die Chance, eure Fragen zu stellen. Denn das ist im Endeffekt das Wichtige – der Austausch, den keine KI ersetzen kann.

Patrick Seibold [00:25:49]:
Deswegen: Registriert euch einfach auf digitalbreakfast.de – alles in einem Wort geschrieben. Ich freue mich auf die Live-Veranstaltung mit dir, Nils, und bedanke mich recht herzlich für diesen Podcast.

Nils Herda [00:25:59]:
Alles klar, Patrick – hat mich auch sehr gefreut. Vielen Dank!

Patrick Seibold [00:26:02]:
Vielen Dank – und allen Zuhörerinnen und Zuhörern noch einen schönen Tag. Auf Wiedersehen.

 

 

 


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